Mit laut vernehmlichem Knall verabschiedete sich die Achillessehne meines rechten Beines
aus lebenslangen treuen Diensten. So weit, so gut, wenn das Ereignis in den Winter gefallen wäre. Es war aber Mitte August, eine für einen Jäger und Jagdfotografen bittere Zeit.

Die Ärzte bekamen Arbeit und eine längere Rekonvaleszenzzeit schloss sich an. Die Brunft des Rotwildes im Jahre 2022 fand daher ohne mich statt. In Jahre 2023 sollte aber alles anders werden, sagte ich mir und besuchte nahezu jeden Tag den Hauptbrunftplatz in der Üfter Mark mit meiner Kamera.

Um es vorneweg zu sagen: Die Besucher der Beobachtungshütte benahmen sich während der ganzen Zeit meiner Anwesenheit vernünftig. Bei Erscheinen des Wildes stellten sie ihre Gespräche ein. Es herrschte Ruhe. Lag es daran, dass ein anwesender Fotograf ein Stoppschild mit der Aufschrift „Wildfotografie“ an den Zaun neben der Hütte gehängt hatte?

Ich war jedenfalls mit dem Verhalten der Besucher, die oft die Hütte mit vierzig Personen belebten, sehr zufrieden.

Auf diesem Hauptbrunftplatz stand alljährlich ein fünfundzwanzig bis dreißigköpfiges Rudel Kahlwild, dass von einem vielendigen jagdbaren Hirsch der Kasse I beherrscht wurde. Starke Beihirsche belagerten den Brunftplatz und forderten immer wieder den Herrscher des Rudels heraus. Junghirsche erschienen am Dickungsrand und schauten neugierig dem Geschehen im Rudel zu. Das Brunftkonzert war recht ordentlich und steigerte sich bei hereinbrechender Dunkelheit zu einem gewaltigen Getöse. Immer wieder kämpften die Hirsche miteinander. Augen und Ohren der Beobachter kamen zu ihrem Recht.

Ganz anders war es in diesem Jahr

Zu Anfang der Brunft übernahm ein mittelalter ungerader Vierzehnender das Rudel und hielt es drei Tage lang. Ihm folgte ein mittelalter gerader Zwölfender, der das Rudel bis zum Ende der Brunftzeit beherrschte.  Beihirsche sah man nie und Geraffel ließ sich nur ein einziges Mal blicken. Ein Brunftkonzert fand so gut wie nicht statt. Warum denn auch? Es gab ja keine Konkurrenz, die man akustisch beeindrucken musste.

Wo waren all die Hirsche der Vergangenheit? Haben auch in diesem Revier die Reduktionsabschüsse das Rotwild so stark dezimiert?

Gespräch mit dem Leiter des Revieres, Herrn Beemelmans…

Der Leiter des Revieres berichtete mir, dass die Reduktion des Wildes sicherlich eine Rolle spielt. Auch er könne die vorgegebenen Abschusszahlen nur noch zu 50% erreichen. Das Ende der Fahnenstange sei hier erreicht. Die vorgegebenen Zahlen gingen an jeder Realität vorbei.

Das sei aber nicht der einzige Grund für meine Beobachtungen. Das Wild habe sich tatschlich umgestellt. Während es sich sonst an diesem Platz traf und hier gemeinsam brunftete, hat es sich nunmehr im gesamten Revier verteilt.

Canis Lupus, der Wolf, sei temporär anwesend. Ob das ein weiterer Grund für dieses geänderte Verhalten sei?  Hinzu kämen menschliche Störungen, die hier bislang ausgeschlossen waren. „Wolfsanhänger“ wurden mehrfach beim Verlassen der Wege angetroffen.

In diesem Revier gibt es ein Wegegebot. Dem Erholungssuchenden ist damit das Betreten
der Bestände untersagt. Störungen durch den Menschen gab es daher in der Vergangenheit kaum.
Das Wild hat sich in seinem Verhalten der neuen Situation angepasst.

Er habe schon einmal eine Woche lang kein Stück Rotwild in Anblick gehabt. Das hätte es in der Vergangenheit niemals gegeben.

Ich kann diese Aussagen bestätigen. Ich kenne das Revier seit dem Jahre 1959. Es gab nicht einen Besuch ohne Anblick von Rotwild. Sicherlich, Hirsche sah man selten, Kahlwild jedoch immer.

In diesem Jahre erlaubte mein geschädigter Hinterlauf noch keine großen Pirschgänge unter
Belastung. Das soll sich aber ändern. Ich freue mich schon jetzt auf das Jagdjahr 2024-2025 und vor allen Dingen auf die Rotwildbrunft dieses Jahres.

Wenn der Hauptbrunftplatz wiederum so wenig belebt wird, werde ich wohl die Pirsch vorziehen müssen.

Gerd Tersluisen (Hegering Gladbeck)