In der Ferne zerriss ein Schuss die Stille des Abends. Ihm folgte deutlicher Kugelschlag. Rätschend beantwortete Markwart neben mir den Knall der Büchse und wuchtelte, einen zweiten Häher mitnehmend, in die Dickung zu meiner Rechten. In der Nachbarjagd jagte offensichtlich ein Kollege mit Erfolg.
„Waidmannsheil !“.

Ich saß am 20.07.2020 vor einem wildsicheren Gatterzaun, der eine große Anpflanzung umfriedete, um Wild mit der Kamera zu erlegen.
Der Platz vor mir war der beste Brunftplatz weit und breit, der mir in vielen Ansitzen immer wieder tollen Anblick bot. Er wurde leider von der vorauseilenden Revierplanung eingeholt und vom Revierleiter aufgeforstet. Damit endete die Brunft des Rotwildes an dieser Stelle recht abrupt.
Der ehemalige Brunftplatz hatte ein Gefiert von 400*400 Metern.  Zur Rechten meines Sitzes schloss sich eine große Dickung an. Ihre Abmessung betrug ca. 1200 m in der Länge und 400 Meter in der Breite. Sie war der Haupteinstand des Wildes. In diesem „Wohnzimmer“ unserer Mitgeschöpfe und den vor mir liegenden Flächen wurde niemals gejagt. Es handelte sich um das Herz des Revieres, um eine Wildruhezone. Daher konnte man hier, oftmals bei bestem Licht, Rot- und Schwarzwild in Ruhe beobachten, seine Eigenarten studieren und fotografieren oder filmen.
Jenseits der Anpflanzung erhob sich eine ca. 20 m hohe Düne. Sie führte vom Tageseinstand des Wildes auf der rechten Seite in ein Kiefernaltholz auf der linken Seite. Durch Flugbesamung hatte sich eine dichte Kieferndickung auf  ihr gebildet, die bis zur rechten Hangseite reichte. Auf dieser Hangseite blühte Kreuz- und Seifenkraut. Gräser boten dem Wild ausreichend Äsung für den „snak“ zwischendurch.
Da auf der Rückseite der Düne ebenfalls eine umzäunte Anpflanzung lag, war diese Erhebung ein Zwangswechsel für den Großteil des Wildes der Ruhezone.

Wenn zwei sich streiten…

Ich saß also 400 Meter vor diesem Zwangswechsel und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Plötzlich, der Zeiger meiner Uhr zeigte 19.48 Uhr, schoben sich fünf Stück Kahlwild und drei Junghirsche aus dem Tageseinstand rechts der kleinen Äsungsfläche. Die mir zugewandten Seiten des Wildes erschienen schwarz. Die späte Abendsonne erhellte das Wild von hinten links und bekränzte die einzelnen Stücke mit einem strahlenden Lichtsaum.
Äsend schob sich das Rudel die Düne hinauf. Als es oberhalb des Zaunes zu sehen war, machte ich die ersten Aufnahmen. Oben, auf der Düne, erstrahlten die Geweihe der Junghirsche wie Kronleuchter. Was war das für ein Anblick. Meine Kamera zeigte, was in ihr steckte Und schon schob sich das Rudel in den dichten Kiefernjungwuchs. Genau um 20.00 Uhr war der Spuk zu Ende. Ich atmete durch. Das war Dussel. Was war das für ein Licht.
Um 20.20 Uhr sah ich am Fuß der Düne eine Bewegung und erkannte eine strahlende Geweihstange, die von einem letzten Sonnenstrahl getroffen wurde. Der zugehörende Hirsch war mit bloßem Auge gar nicht auszumachen. Ein Blick durchs Okular meiner Kamera zeigte mir jedoch die drei Hirsche und das Kahlwild, die aus dem Kiefernjungwuchs getreten waren und vor dem Gatterzaun äsend umhertraten.
Plötzlich standen sich zwei der Hirsche gegenüber und hoben ihre Häupter an. Ihre Lauscher und ihre Geweihe waren zurückgelegt.

Das gab Harder. Sofort hatte ich den Auslösefinger an der Kamera. Die Hirsche schoben sich in einen letzten Sonnenspot und erhoben sich auf ihre Hinterläufe. – Hirsche fechten Streitigkeiten, während der Wachstumszeit ihrer Geweihe, mit den Vorderläufen aus. Bei Kahlwild erfolgen solche Kämpfe das ganze Jahr hindurch. Dabei wird jedoch selten zugeschlagen. Fast immer gibt es einen Luftkampf, ohne Feindberührung. – Dieses Mal sollte der Streit aber anders verlaufen. Nach einigem Lufttrommeln mit den Vorderläufen, ging der links stehende Hirsch wieder zu Boden, um aber sofort wieder aufzusteigen. Er und sein Gegner übten wieder den Luftkampf und versuchten sich gegenseitig zu beeindrucken. Plötzlich wurde es dem rechts stehenden Hirsch zu bunt. Er holte mit seinem linken Vorderlauf aus und schlug, laut und vernehmbar klatschend, seinem Gegenüber gegen die Decke. Der ganze Staub des Tages flog durch die Luft und leuchtete im letzten Abendlicht.
„Schlagartig“ war der Kampf beendet. Die Hirsche gingen wieder auf alle Läufe und ästen friedlich nebeneinander. Die „Prügelknaben“, oder „Prügelprinzen“, hatten ihr Mütchen gekühlt.“

Vierzehn Aufnahmen dieses Kampfes waren mir vergönnt. Auch wenn sie auf 400 Metern gemacht und vom Gatterzaun gestört wurden, so sind sie doch ein Höhepunkt in meinem Jagdjahr. Dieses Erlebnis und die vor dem Kampf gemachten Aufnahmen geben dem Begriff „Kronleuchter“ eine mir bisher unbekannte und damit völlig neue Bedeutung.

Ihr Gerd Tersluisen (Hegering Gladbeck)