Von Gerd Tersluisen
Langsam und vorsichtig pirschte ich über eine Brache zu meinem Hochsitz, einer offenen Kanzel. Dieser Sitz hatte eine zentrale Lage. Er stand am Kreuzungspunkt zweier Heckenstreifen und eines kleinen Baches. Die offene Kanzel in Form eines Drückjagdsitzes eignete sich gleichermaßen gut für den Ansitz auf Rehwild und Fuchs. Ihr Boden lag nur 1,00 m über der Ackerkrume.
Die Sonne stand noch am Himmel und der Wind war ausgezeichnet. Im Süd-Osten meines Sitzes erstreckte sich eine Viehweide der Abmessung 400mx400 m. Im Nord-Osten lag ein Kartoffelacker, der im Norden von einem kleinen Wäldchen, einem Busch, wie wir sagen, begrenzt wurde. Im Nord-Westen wuchs Mais und nach Westen erstreckte sich die Brache entlang einer Gastrasse. Den Süd-Westen konnte man nicht einsehen, da eine Hecke am Bach die Sicht versperrte. Dort befand sich ein großer Fuchsbau der, solange ich denken kann, in jedem Jahr einer Menge Füchse einen trockenen Wohnplatz bot.
Vorsichtig stieg ich die vier Stufen der kurzen Leiter hoch und machte es mir oben bequem. Nach einer Wartezeit von einer halben Stunde, versuchte ich den Vogelangstruf. Junge Füchse locke ich Ende Juni, wir schrieben den 28.06.2021, noch nicht mit der Kaninchenklage, da zu dieser Zeit den meisten Jungfüchsen die Kaninchenklage unbekannt ist. Kaum hatte das Lockinstrument meinen Mund verlassen, sah ich ein leises Zittern der Brennnesseln neben meinem Sitz. In diesen Brennnesseln lag der Stamm einer alten umgestürzte Espe und auf ihm saß plötzlich, ich glaubte es kaum, ein junger Steinmarder. Er äugte mich mit kugelrunden Knopfaugen an. Das Auslösegeräusch meiner Kamera störte den 6 m neben mir verhoffenden Jungmarder nicht und so machte ich einige Portrait-aufnahmen, ehe er mit einem kleinen Satz wieder in der Brennnesselwildnis verschwand.
Sofort zwitscherte ich ein weiteres Mal mit dem Vogelangstruf und augenblicklich erschien der fast ausgewachsene Kerl wieder auf dem Stamm der Espe. Dieses Mal kam er von rechts, so dass ich ihn, mit geringerer Brennweite, in voller Größe aufnehmen konnte. Nach den Auslösegeräuschen der Kamera machte er einen Satz, verschwand in der Böschung des Baches und äugte mich durch das Gestrüpp hindurch an. Dann war er verschwunden.
Jetzt musste ich erst einmal tief durchatmen.
Sofort kontrollierte ich die zweiundzwanzig geschossenen Aufnahmen und stellte fest, dass alle Fotos scharf waren. Ich hatte alles richtig gemacht. Das nennt man Dussel.
Obwohl der Vogel noch einige Male klagte, erschien bei mir kein Jungfuchs.
Aber, beim besten Licht dem Marder zu begegnen, das war schon etwas. Und das Tier war tatsächlich ein echter Hingucker.
Ein „Kampfhase“ greift an
An einem anderen Tag, es war der 11.08.2021, saß ich in meinem leichten und transportablen Bodensitz vor dem alten Backhaus eines traumhaft schönen Bauernhauses im gleichen Revier. Das Backhaus im Rücken, erstreckte sich vor mir eine dreihundert Meter lange und zehn Meter breite Hecke. Den Geländeteil rechts der Hecke konnte ich nicht einsehen. Links der Hecke lag bewirtschaftetes Ackerland mit Mais und einer davorliegenden Grasfläche.
Mein mit einem Tarnnetz getarnter Sitz stand vier Meter rechts eines mir bekannten Hasenpasses. Kaum saß ich, hoppelte der erste Hase aus der Hecke genau auf meinem Sitz zu, verhoffte zehn Meter vor mir, ließ sich mehrfach aufnehmen und rückte anschließend an mir vorbei. Das Spielchen wiederholte sich mit zwei weiteren Krummen. Ein vierter Hase sauste aus der Hecke, verhoffte und hoppelte ins Feld links neben mir. Er war ca. 80 Meter von mir entfernt, als ich die Kaninchenklage zwischen meine Lippen nahm und jämmerlich klagte.
Was dann geschah, hieb mich förmlich um. Der verhoffende Hase, oder war es eine Häsin, sauste in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit auf meinen Sitz zu. Er nahm mich förmlich an. Einen Meter vor mir schlug er einen Haken, bog mit voller Geschwindigkeit in den Hasenpass ein und verhoffte sichernd und mich ständig beobachtend in einer Entfernung von ca. zwanzig Metern. Ein weiteres Klagelied des Lapuzes brachte den Hasen zur gleichen Reaktion. Wieder sauste er mit voller Geschwindigkeit auf meinen Sitz zu, schlug abermals ca. einen Meter vor mir einen Haken und verhoffte wieder nach zwanzig Metern im Feld. Dort saß er sichernd und mich ständig beobachtend. Da ich mich nicht rührte und auch nicht mehr klagte, hoppelte der „Kampfhase“ ins Feld und verschwand.
Ich hatte den Eindruck, dass der Hase einem in Bedrängnis geratenen Kaninchen helfen wollte, indem er den Beutegreifer von seinem Opfer abzulenken versuchte.
Ich habe ähnliche Beobachtungen schon öfter machen können. Immer wieder kamen Hasen auf den Karnickelangstruf angeflitzt, verhofften aber vor mir und rückten anschließend langsam wieder ab. Jedenfalls ist der Begriff „Angsthase“ für Meister Lampe wirklich nicht angebracht.
Früher habe ich die Kaninchenklage oft auf Treibjagden vernommen. Wenn ein Lapuz von einem Hund gegriffen wurde, hörte ich ein kurzes Quietschen, als wenn man mit einem feuchten Korken auf einer leeren Flasche rieb. Mit diesem Ruf, mit den Lippen auf dem Handballen nachgeahmt, konnte ich sehr viele Füchse erlegen. Niemals kamen mir dabei irgendwelche Hasen. So reizte ich immer in Revieren, in denen es auch Kaninchen gab.
Die Kaninchenklage in der Form, wie sie uns die großen Lockjagdspezialisten vormachen, konnte ich in einem langen Jägerleben noch nie in freier Natur vernehmen. Die Spezialisten machen auf ihren Bild- und Tonträgern darauf aufmerksam, dass der Fuchs auf diese Klagelaute in jedem Revier, auch wenn es dort noch nie Kaninchen gegeben hat, zusteht.
Ich frage mich daher, ob es sich bei den empfohlenen Klangstrophen nicht um die Klage von Quart- oder Halbhasen handelt und die zustehenden Hasen nicht in jedem Falle Häsinnen sind. – Dann wäre meine wiedergegebene Beobachtung leicht zu erklären.
Ob Kaninchen- oder Junghasenklage, das ist eigentlich völlig egal; die Dinger funktionieren jedenfalls fantastisch. Die Lock- und Reizjagd auf Reinicke birgt viele Überraschungen und gehört daher für mich zu den erlebnisreichsten und schönsten Jagdarten überhaupt.