Es war der 24.08.2019, als ich mit Hund, Zielstock und Kamera in der Frühe zu einem Pirschgang im Hochwildrevier aufbrach. Die Blattzeit lag hinter mir. Sie hatte mir viele fantastische Erlebnisse und Aufnahmen geschenkt. Nun wollte ich mich aber um Hirsch und Sau kümmern, denn die hatte ich stark vernachlässigt.
Es war eine Frühpirsch, zu der ich aufbrach. Der Hund wurde angeleint, das Stativ auf Höhe gebracht und die Kamera mit der 560 mm langen Festbrennweite umgehängt. Leise fiel die Tür meines Wagens zu und knackend verriegelte sich das Schloss.
Quintus, mein Teckel und ständiger Begleiter prüfte mit der Nase den Wind und hob gleich am ersten Baum seinen Hinterlauf, um sich zu erleichtern. Ich prüfte ebenfalls den Wind. Nur die Sache mit dem Hinterlauf ersparte ich mir. Das Tor des Wildschutzzaunes musste mit den Händen gehalten und vorsichtig bis vor seinen Anschlag gedrückt werden, damit die Geräusche nicht störten.
Noch vorsichtiger pirschten wir, auf dem mit Gras bewachsenen Randstreifen eines breiten Wanderweges, gegen den Wind nach Nord-Osten. Wie immer, wenn es zur Jagd mit der Büchse oder zur Jagd mit der Kamera geht, zeigte Quintus besten Appell. Ja, so ein Teckel weiß genau was er darf und was er nicht darf, auch wenn er dieses Wissen manchmal versteckt. Auf der Jagd jedenfalls, kann er sich benehmen.
Plötzlich erschien, vor uns am rechten Wegesrand, ein Kalb in einer Entfernung von ca. 100 m. Ein Schritt nach links und schon stand ich vor einer alten Kiefer. Unter meiner Mütze holte ich den Gesichtsschleier hervor und ließ damit mein helles Gesicht verschwinden. Meine Hände steckten sowieso in Tarnhandschuhen.
Quintus zitterte vor Passion. Ich stieß ihn vorsichtig mit meinem Fuß an. Das brachte Ruhe in den kleinen Kerl. Langsam bummelte das Kalb äsend hin und her. Es kam aus einem Birken-Kiefernbestand, mit lockerem Adlerfarnunterwuchs. Auf meiner Seite des Weges bestand der Forst nur aus lückenhaft stehenden Altkiefern und einem mannshohen Bestand Adlerfarn. Offensichtlich waren die Stücke kurz vor dem Einwechseln in ihren Tageseinstand, denn wo ein Kalb ist, folgt zumindest ein Alttier oder gar das ganze Rudel.
Und so war es auch. Das Rudel folgte dem Kalb und plötzlich standen drei Alttiere mit ihren Kälbern und zwei Schmaltieren vor mir auf dem Weg. Die Kamera ruhte auf meinem Zielstock und zeigte was in ihr steckte. Noch war das Licht nicht berückend. Aber, das würde sich ändern. Das Rotwild musste sich nur noch etwas länger an der Äsung, die der Weg bot, erfreuen, dann waren die Verhältnisse für mein Vorhaben ausgezeichnet.
Langsam äsend zog das Kahlwildrudel auf mich zu und verschwand in dem hohen Adlerfarn auf meiner Seite des Weges. Das war Pech. Der Farn deckte die Bewegungen des Wildes vollständig. Nur ein Wackeln der Pflanzen zeigte mir, wo sich das Rudel befand. Da ich etwas erhöht stand, konnte ich diese Bewegungen des Wildes genau verfolgen. Daher hatte ich die Kamera im Anschlag und hoffte auf eine lückenhafte Stelle, auf der auch das Wild verhoffte. Immer näher zogen die unsichtbaren, aber zu erahnenden Stücke. Jetzt waren sie nur noch 35 Meter vor mir, jetzt nur noch 20 Meter.
Mein Herz schlug mächtig. Ja, es stieg Jagdfiber in mir hoch. Und dann erschienen das Haupt eines Alttieres und die Lauscher seines Kalbes, keine 15 Meter vor mir. Das Alttier sicherte in die Kamera und so fotografierte ich nach Herzens Lust. Auge in Auge mit einem Alttier auf so kurze Distanz. Das geschieht nicht gerade häufig.
Das leise Klicken der Kamera irritierte die Stücke. Starr waren die Lichter des Alttieres auf den Kameramann gerichtet, ebenso ein Lauscher, während der andere Lauscher Informationen aus dem übrigen Rudel aufnahm. Die Lauscher des Kalbes, das vor seiner Mutter stand und mir seinen Rücken zeigte, waren ebenfalls auf die Klickgeräusche, also in meine Richtung gerichtet.
Dann wurde es den beiden aber zu viel. Sie zogen die Köpfe ein und wechselten langsam durch den Farn auf den daneben liegenden Einstand zu. Ihnen folgte das Rudel. – PFFFT! – Jetzt musste zuerst einmal die angestaute Luft abgelassen werden. Doch was war das. Etwa 80 Meter hinter der Stelle an der Alttier und Kalb standen, ragte plötzlich das Haupt eines Kronenzwölfers sichernd aus dem Farn. Drei Aufnahmen gelangen mir, dann war auch der Spuk vorbei.
Der Hirsch zog das Haupt ein und war einfach verschwunden.
Da kann man doch mal sehen. Es ist wie bei uns. Wo Mädels sind, da sind auch Jungs. Wir zwei warteten und pirschten dann, um nicht in den Wind zu kommen und das Rudel mit Hirsch zu vergrämen, wieder zurück und um den Einstand herum. Dort griffen wir mit halben Wind erneut an.
Kurz vor Erreichen des Weges an dem ich gerade das Rotwild ablichten konnte, aber ca. 700 Meter von dieser Stelle entfernt, bummelte ein Überläufer von links nach rechts über den Wanderweg. Mist! Der hätte gerade noch gefehlt. Warum konnte ich nicht zwei Minuten eher diese Stelle passieren. Den Halbstarken hätte ich jetzt im Kasten.
Doch dann schaltete ich. Der Kerl bummelte da herum. Er zog nicht in seinen Einstand, sondern auf einen riesigen Kahlschlag, der mit weit auseinanderstehenden Altkiefern und Birken bewachsen war. Unter den Bäumen stand hohes Gras und so rechnete ich mir aus, dass ich den Überläufer, wenn ich mich jetzt sputete, noch antreffen würde. Ich legte eine Schüppe zu und erreichte mit Quintus die nächste Wegekreuzung. Und genau wie gedacht, bewegte sich ein Schwarzwildrücken im hohen gelben Gras langsam auf mich zu. Sofort stand mein Zielstock mitten auf dem Weg. Die Kamera ruhte in der Zielgabel. Langsam näherte sich der Rücken im gelben Gras dem Weg. Ich hatte den Überläufer ständig im Objektiv und betrachtete ihn durchs Okular. Als er auf den Weg zog, war er nur noch 20 Meter von mir entfernt. Sofort grunzte ich ihn an. Blitzartig verhoffte der zukünftige Basse. Tief über dem Boden hielt er sein Wurf und äugte Quintus, den zweitbesten Teckel der Welt an. Mich erkannte er offensichtlich nicht. Normaler Weise ist Quintus der beste Teckel der Welt. Doch heute degradierte ich ihn zum zweitbesten Teckel. Da ich nicht wie auf einem Ansitz seinen Kopf streicheln konnte, wollte er dem Ungeheuer vor ihm mit wildem Schlachtlaut an die Schwarte. Doch der Überläufer hatte etwas dagegen. Er drehte er sich um und ab ging die Post.
Als die Spannung sich legte, beherrschten nur noch gute Gefühle meine Brust. Ja, das war ein Pirschgang nach meinem Geschmack. – Welt, wie schön kannst du nur sein!
Was blieb, waren vier gute Aufnahmen eines Überläufers, die Erinnerung an ein spannendes Erlebnis. Und so sind diese Aufnahmen und die des Rotwildrudels für mich Erinnerungsträger, die mir niemand mehr nimmt. Erinnerungen an „Begegnungen hautnah“.
Gerd Tersluisen (Hegering Gladbeck)