Mein Teckel hatte gerade seine täglichen tollen fünf Minuten. Laut Kläffend sauste er durch unser Wohnzimmer, dass die Teppiche nur so flogen. Immer wieder sprang er an mir hoch, um anschließend sofort wieder sein verrücktes und lautes Toben fortzusetzen.
Es war der 12.09.2020, als ich von meinem wild gewordenen Handfeger abließ und einen Blick ins Atrium unseres Hauses warf. Da saßen doch, vor einem großen Pflanzkübel, zwei Mäuschen und mümmelten an winzigen Gräsern. Schnell schnappte ich meine Kamera, öffnete leise und vorsichtig die Tür, schlich hinaus und fotografierte eine Serie der kleinen Mäuse. Es waren Jungmäuse, die, wie ich sofort bemerkte, wenig Scheu zeigten.
Entweder waren die halb ausgewachsenen Mäuschen krank, oder sie hatten ihre Mutter verloren und versuchten dem Hungertod zu entkommen. An Erfahrung und entsprechendem Feindverhalten fehlte es ihnen jedenfalls. Nach der Aufnahmen-Serie taten mir die Mäuschen leid. Ich streute ihnen etwas Weißbrot in die Nähe des Kübels, das sie jedoch nicht annahmen. Es war ein hoffnungsloser Fall. Schon mehrfach hatte ich Jungmäuse gefunden, die das Mausenest verlassen hatten. Sie verendeten in kurzer Zeit, oder wurden von Fressfeinden aufgenommen.
Quintus, mein Rauhaarteckel erhielt ein Betretungsverbot für den Innenhof. Sofort warf er mir einen schiefen Blick zu. Das sollte sicherlich heißen: „Du spinnst mal wieder!“
Ich wollte einfach zusehen, was mit den Mäusen geschah. Dass sie überlebten, nahm ich nicht an.
Am folgenden Tag sah ich die Mäuschen, vom Fenster meines Büros aus, wie sie rechts und links des Kübels getrennt umherliefen und bei Störung im Innenhof sofort unter ihm verschwanden. Na ja, sie besaßen zumindest jetzt ein Sicherheitsbedürfnis.
Zwei Stunden später beobachtete ich eine Maus, die links des Kübels plötzlich umfiel, blitzschnell wieder aufstand, abermals umfiel, wieder aufstand und sofort ein drittes Mal fiel.
Dann blieb sie liegen und rührte sich nicht mehr. Sofort waren zwei Schmeißfliegen vor Ort und bekrabbelten das leblose Mäuschen. Nichts geht in der Natur verloren. Des einen Tod ist das Leben des anderen.- Genauso krochen winzige Ameisen durch die vorhandenen Körperöffnungen der Maus in deren Inneres.
Nach einer Stunde blickte ich wieder einmal ins Atrium und staunte nicht schlecht. Die Maus hatte ihren langen Schwanz erhoben. Er stand senkrecht aufgerichtet in den Himmel.
Da war anscheinend doch noch Leben im Mäuschen, dachte ich mir, schnappte meine Kamera und schlich zum aufgerichteten Schwanz mit Maus.
Dort angekommen, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. „So etwas sieht man nur einmal im Leben“, schoss es mir durch den Kopf. Eine kleine Spinne, offensichtlich eine Gewächshausspinne, hatte sich in grenzenloser Selbstüberschätzung an der verendeten Maus vergriffen. Da wollte doch tatsächlich ein Zwerg einen Elefanten verputzen. Die beiden Schmeißfliegen ließen nicht locker. Sie legten ihre Fliegeneier auf den leblosen Körper.
Während ich vor dem Mäuschen lag, kam sein Geschwister unter dem Kübel hervor und wollte dem verendetet Kerlchen helfen. Mehrfach versuchte es mit seiner Nase, sein Geschwister auf zu müden. Die Spinne hatte sofort auch dieses Mäuschen mit feinen Fäden bedacht, sodass es sich mehrfach schüttelte und wieder unter dem Kübel verschwand. All das durfte ich miterleben und fotografisch festhalten. Zufrieden ging ich wieder ins Haus. „Das war etwas. – Das glaubt mir Niemand“, ging es mir durch den Kopf. Aber, es kam noch besser.
Am folgenden Tag stand das gesamte Mäuschen auf dem Kopf. Das verschlug mir doch die Sprache. Die Gewächshausspinne besaß offensichtlich fantastische Techniken, um ein Opfer ins Innere ihres Fangnetzes zu ziehen – und was hielten doch die Fäden dieses Netzes aus?
Wieder kam die Kamera zum Einsatz. Eifrig sauste die Spinne über ihrer Beute hin und her und das Netz rauf und runter. Das musste sie schon die ganze Nacht so gehalten haben.
Ich war gespannt, was die folgenden Tage brachten.



Am nächsten Tag fand ich das zweite Mäuschen verendet an der rechten Seite des Kübels.
Die Maus im Netz der Spinne hatte ihre Lage nicht verändert. Das blieb auch drei weitere Tage so. Die Spinne hatte wohl die Tragfähigkeit ihres Netzes ausgereizt und sah ein, dass es diese gewaltige Beute nicht mehr höher ins Netz hieven konnte.
Ich hätte jedenfalls nicht geglaubt, dass solch eine kleine Gewächshausspinne eine viel schwerere Beute, mit sicherlich dem einhundertfachen des Spinnengewichtes, ins Netz ziehen würde. War es nun grenzenlose Gier oder eine gewaltige Selbstüberschätzung?
Mich hat dieses Erlebnis jedenfalls tief beeindruckt und ins Staunen gebracht. Wie groß ist doch unsere Schöpfung? Wie gewaltig der Kreislauf des Lebens und wie schön ist doch das Beobachten auch der kleinsten Dinge um uns herum?
Gerd Tersluisen (Hegering Gladbeck)