Ein wilder Osterspaziergang am grünen Rand der Stadt

Erst ist es nur ein brauner Fleck. Könnte ein Stock sein, da am Rand der Wiese. Doch dann bewegt sich der Fleck und ist, siehe da, ein Hase. Nicht bloß ein Kaninchen, sondern ein richtiger Feldhase, mit langen Löffeln. Und vielleicht mit einer Mission. „Da haben Sie ihren Osterhasen“, sagt Gerd Tersluisen vom Hegering Gladbeck zufrieden.

Nicht, dass der Waidmann überrascht wäre. Er weiß genau, welche Tiere hier, rund um den Bauernhof in Rentfort, leben. Regelmäßig geht er dort auf die Pirsch – besonders gerne mit seiner Kamera und dem langen Teleobjektiv.

Durch die intensive Landwirtschaft wird es eng für die Hasen

Dass der Feldhase sich hier wohl fühlt, freut ihn besonders. Denn Meister Lampe ist selten geworden – gerade einmal drei Millionen Exemplare soll es laut der deutschen Wildtierstiftung noch in Deutschland geben. Die Naturschützer haben ausgerechnet: Wenn sie alle Osterhasen wären, so wäre einer von ihnen für 27 Menschen zuständig.
Es wird eng für den Hasen. Das liegt daran, dass viele Felder und Wiesen so intensiv für die Landwirtschaft genutzt werden, dass es kaum noch Verstecke gibt, und zum Beispiel Kräuter nicht mehr wachsen können. „Der Hase braucht aber die Hasenapotheke zum Überleben“, sagt Gerd Tersluisen. Die Säugetiere bedienen sich aus der Natur, um ihre Wehwehchen selbst zu behandeln. Doch ohne Wildkräuter bleibt der Medizinschrank leer. Und Hasen werden immer seltener.

Gerd Tersluisen kennt die Tiere in seinem Revier genau

Aber es gibt sie noch. Und wer lange genug still sitzen kann, Zeit hat und ein Fernglas, wird sie an den Rändern Gladbecks mit etwas Glück beobachten können. Am einfachsten ist es natürlich, einen Fachmann dabei zu haben. Jäger Tersluisen kennt die Tiere in seinem Revier genau, weiß, wann die Rehe zum Äsen kommen, wann sie wiederkäuen. Oft führt er Schulklassen durch die Natur und bringt die Kinder zum Staunen, wenn er Tiere sieht, wo sie selbst nur Bäume ahnen.

Meistens ist das Wild ohnehin schneller. Einen Fuchs in freier Wildbahn zu sehen, ist unwahrscheinlich – obwohl es reichlich davon in Gladbeck gibt. 50 Stück haben Jäger im vergangenen Jahr erlegt. Das sei nötig, um das Gleichgewicht in der Natur zu erhalten, sagt Tersluisen, zu viele Füchse würden die Artenvielfalt bedrohen – zumal ihr Beutespektrum immer kleiner wird. Trotzdem ist Tersluisen ein echter Fuchs-Fan: „Er ist das cleverste Wildtier, das wir haben.“

Bald werden die Jungtiere der Rehe geboren

In Rentfort jedenfalls lässt der Reineke sich nicht blicken. Dafür springt nun ein Reh nach dem anderen aus der blühenden Hecke. Insgesamt sechs sind es, mindestens eines wird in den kommenden Wochen Mutter. „In ein, zwei Wochen hat die eine richtige Kugel“, sagt Tersluisen. Bald beginnt für die Rehe das, was Jäger „Setzzeit“ nennen. Sie bringen ihren Nachwuchs zur Welt und setzen ihn (mangels Nest) an einer Stelle ab, die ihnen sinnvoll erscheint.

Wenn die Jungtiere noch ganz klein sind, sind sie besonders gefährdet. Kinder lernen früh, dass sie Kitze und andere Tierbabys niemals anfassen dürfen, weil diese sonst entweder von ihren Eltern verstoßen oder von Fleischfressern aufgestöbert werden können. Tersluisen appelliert an die Hundehalter, ihre Tiere während der Setzzeit an der Leine zu halten. Natürlich gilt die Bitte auch über die Jungtierzeit hinaus.

Im Hintergrund rauchen die Schlote, Windräder drehen sich

Zurück auf die Wiese. Im Hintergrund rauchen die Schlote Scholvens, Windräder drehen ihre Runden, die Autobahn 31 rauscht. Ein Bussard kreist, wird aber direkt von einer frechen Krähe verscheucht. Ringeltauben und Amseln suchen auf der Pferdekoppel nach etwas Essbarem. Ein Fasan patrouilliert in seinem Revier und gibt regelmäßig Laut. Nicht, dass ein Konkurrent auf dumme Ideen kommt.

Die Rehe stört das nicht, sie haben sich in aller Ruhe ins Gras gelegt und käuen wieder. Wie Kühe. Ein Bock tritt aus dem Dickicht der Hecke. „Den wollte ich unbedingt sehen“, flüstert Tersluisen begeistert. Das Tier ist schon alt, seit mehr als zehn Jahren kennt es der Jäger. Je älter, desto pfiffiger werden Rehe, sagt er. Einen so alten Bock zu schießen, sei fast unmöglich. Aber es ist ja sowieso Schonzeit. Für die Hasen gilt sie übrigens das ganze Jahr, weil sie so selten sind – und damit ohnehin schwerer zu finden als bunte Eier. Vielleicht wäre das ja mal eine Idee für den Osterspaziergang: Suchen Sie den Hasen, nicht die Eier.

Quelle: waz.de – Nina Estermann | Fotos: Gerhard Schypulla und Gerd Tersluisen