Wilderer in deutschen Wäldern auf Vormarsch

Das Tier war so geschwächt, dass ihm ein ganz normaler Weidezaun zum Verhängnis wurde. Beim Versuch, von der einen auf die andere Seite zu gelangen, verhedderte sich das Reh in der Absperrung in der Nähe von Frankenberg in Nordhessen. Als ein Jäger das Reh später fand, erlöste er es mit einem Schuss von seinen Qualen. Dann entdeckte er den Grund für die Tortur: Im Körper des Tiers steckte ein acht Zentimeter langes Stück eines Holzpfeiles mit Eisenspitze. Offenbar hatte ein Wilderer mit einer Armbrust auf das Tier geschossen.

Schwer verletzt war es entkommen – bis seine Kräfte es in jenem Weidezaun verließen. Die Geschichte aus Nordhessen ist kein Einzelfall. „Deutschland hat ein Wilderei-Problem. Immer wieder werden bedrohte und geschützte Tiere illegal getötet“, beklagt Moritz Klose, Wildtierexperte bei der Naturschutzorganisation WWF. Ob im Sauerland, im Harz oder im Thüringer Wald: Die modernen Wilderer kommen häufig in der Nacht und mit dem Auto.

Tiere flüchten und verenden

Mit starken Scheinwerfern blenden sie das Wild, dann schießen sie. Um nicht aufzufallen, benutzen sie relativ leise, kleinkalibrige Waffen – oder Armbrüste, denn die kann jedermann frei erwerben. Die Tiere werden davon oft genug nur verletzt, flüchten und verenden Tage oder Wochen später.

Kaum eine Tierart ist sicher vor verbotenen Abschüssen. Allein in Sachsen wurden in den letzten Jahren nachweislich sieben Wölfe illegal getötet . Im Bayerischen Wald verschwinden regelmäßig Luchse, zwischen 2010 und 2016 wurden mindestens fünf Tiere getötet, 14 gelten als verschollen.

Wilderer haben ganz unterschiedliche Motive

Und der WWF berichtet von bundesweit 700 gewilderten Greifvögeln in den letzten zehn Jahren. So unterschiedlich wie die betroffenen Arten sind auch die Motive der Wilderer. Greifvögel etwa ziehen häufig den Unmut von Tauben- und Geflügelzüchtern auf sich, wenn sie deren Nutztiere bedrohen.

Wenn Rehe geschossen werden, kann das hingegen finanzielle Gründe haben. 200 Euro ist so ein Tier laut Deutschem Jagdverband wert. Die Deutschen bezahlen viel für ein Stück Wild auf dem Teller.

Gerichte sollen härter durchgreifen

Die Polizei tut sich schwer mit der Bekämpfung von Wilderei. Nur jeder dritte Täter wird gefasst. Die verwendete Munition ist so weit verbreitet, dass sie sich kaum zurückverfolgen lässt. Kommt es trotzdem zu einem Verfahren, stellen es manche Staatsanwälte wegen Geringfügigkeit ein. „Es ist höchste Zeit, dass die Gerichte härter durchgreifen“, sagt Jürgen Vocke, Präsident des Bayerischen Jagdverbandes und pensionierter Richter.

Verlässliche Zahlen, wie viele illegale Jäger in deutschen Wäldern unterwegs sind, gibt es kaum. In Bayern etwa registriert das Landeskriminalamt zwischen 150 und 200 Fälle im Jahr. Jedoch fällt Wilderei nur dann auf, wenn Spaziergänger oder Jäger ein verendetes Tier finden. „Die Dunkelziffer ist hoch und die Zahl der Fälle nimmt zu“, klagt Andreas Ruepp, Erster Polizeihauptkommissar bei der Polizeiinspektion Kempten. „Es handelt sich hierbei um Verstöße nach dem Waffengesetz, die mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden können.“

Wölfe werden obduziert

Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) will zu einer besseren Beurteilung der Wilderei in Deutschland beitragen. Wird irgendwo im Land ein toter Wolf gefunden, untersucht das IZW in Berlin den Kadaver auf die Todesursache. Auch bei anderen geschützten Arten erfolgt eine Obduktion, in der Regel durch die lokal zuständige Behörde. Oft finden die Mitarbeiter dabei Reste von Jagdmunition.

„In anderen Ländern verurteilen wir die massenhafte Tötung von Elefanten“, kritisiert Moritz Klose vom WWF. Hierzulande sei nicht einmal das Ausmaß der Wilderei bekannt.

Bekämpfung von Wilderei soll gebündelt werden

Um das Problem wirksamer zu bekämpfen, fordern Umweltpolitiker wie der bayerische Landtagsabgeordnete Florian von Brunn (SPD), der Bund für Umwelt- und Naturschutz (Bund) sowie zahlreiche andere Organisationen, die Bekämpfung zentral zu bündeln. So wie in Sachsen: Dort ist für alle Wolfstötungen das Dezernat „Sonderfälle“ beim Landeskriminalamt zuständig. Einen Täter hat die Einheit jedoch noch nie ermitteln können.

Quelle: waz.de