Eine bunte Strecke .Von jeder Wildart wird ein Stück zur strecke gelegt.

Wir schrieben den 09.11.2006. Wie alljährlich, erhielt ich auch in diesem Jahre eine Einladung zur revierübergreifenden Drückjagd am Nordrand des Ruhrgebietes, eine Einladung auf die ich mich jedes Jahr schon freute.

Eine halbe Stunde vor dem vereinbarten Termin schritt ich zur großen Remise vor dem Forsthaus und erledigte alle Formalitäten bei der Jagdleitung. Es ist immer wieder ein Erlebnis, alte Bekannte von früheren Jagden wiederzusehen. Da gibt es ein Hallo, freundliche Gespräche und lachende Gesichter.

Plötzlich rollte ein schwarzer PKW auf den großen Sammelplatz. Aus einem Gefährt quoll doch tatsächlich ein Kamerateam des WDR 3. Eindrücke der Jagd sollten aufgenommen und am folgenden Montag in der Sendung „Lokalzeit Ruhr“ gesendet werden. Mein Teckel Quitte und ich waren eines ihrer ersten Opfer, denen sie sich widmeten.

Nach dem „Sammeln der Jäger“ und der „Begrüßung“, kam die übliche Ansprache des Jagdleiters, Herrn Forstdirektor W. mit Sicherheitsbelehrungen, Angaben über Freigabe von Wild und den besten Wünschen für Anblick und jagdlichen Erfolg. Er bat abschließend nur Wild das in Sichtweite verendete, persönlich nachzusuchen. Es folgte die Einteilung in Fahrgruppen. Ich wurde meinem Freund Horst R. zugeteilt, der mich und meine Jagdfreunde zur Schlägerhardt brachte, allerdings erst nach einem schnellen Griff in die prall mit Brötchen und Fleischwurst gefüllten Verpflegungskörbe.

Die „Grüne Minna“, eine Kanzel die mir in der Vergangenheit guten Anblick geboten hatte, war für die nächsten Stunden mein Ort des Wartens und des Hoffens. Es war 9.00 Uhr.

Bei blauem Himmel und heftigen Wind, bezogen Quitte und ich unseren Ansitz. Der Kanzel war ca. 2,50 m hoch und stand gedeckt im Fichtenaltholz. Vor mir lag ein L-förmiger Wildacker, der von Schwarzwild unberührt schien. Links, nach Westen hin erstreckte sich eine Schneise. Sie wurde in einer Entfernung von 60 m von einem Hauptwechsel gequert. Der starke Wind blies Zweige einer Hemlock-Fichte immer wieder in die westliche Sichtöffnung, sodass die Bejagung der Schneise unmöglich wurde. Die Erfahrung aus der Vergangenheit sagte mir, dass ein Wechsel am Ende des Wildackers, ca. 5 m im Bestand, über den Grenzweg führt. Aufgrund des vorhandenen hohen Adlerfarns war eine Bejagung dieses Wechsels ebenfalls ausgeschlossen. Blieb nur die Ostseite. Der dort vorhandene Eichenbestand war auf 100 m einsehbar.

Ein Wechsel führte genau auf die Kanzel zu. Ihn gab es früher nicht. Wenn hier Wild erschien, konnte es klappen. Die grüne Minna lag ca. 300 m vor einem Schießplatz unserer Vaterlandsverteidiger. Dort war offensichtlich der Krieg ausgebrochen. Die Jungens müssen üben, dass ist klar. Musste das aber ausgerechnet heute sein? MG-Feuer und der Beschuss aus Schnellfeuerwaffen ließen keinerlei jagdliche Träumerei zu.

Ob der Platz passt?

Ob der Platz passt?

Es ist nicht zu glauben, welchen Krach 18 – 24-jährige veranstalten können, wenn man sie nur lässt.

Na, ja. Zuerst wurde mit Quitte gefrühstückt. Die Mauser 66 stand geladen und gesichert in der Kanzelecke. Da ich weiß, dass die ständige Knallerei auf Truppenübungsplätzen das Wild nicht sonderlich stört, kroch die Drückjagdspannung langsam bis in meine Haarspitzen.  „Ich habe lange keinen Fuchs mehr erlegt. Reinecke könnte ruhig mal erscheinen, zumal bis zum Anblasen noch 30 Minuten fehlen“, dachte ich. Aber Pustekuchen, der Schlaumeier zeigte sich heute nicht. Die beiden Wildapfelbäume am Ostrand des Wildackers, verloren ihre letzten Früchte. Die unter den Bäumen liegenden Äpfel zeigten mir, dass die Sauen in den letzten Tagen hier fehlten. Windböen ließen die Blätter wirbeln und drückten immer wieder mein Westfenster mit den Ästen der Fichte zu. Wir hatten zu jener Zeit eine gewaltige Eichelmast. Daher stecken die Schwarzkittel auch tagsüber in den Brombeerschlägen unter den Eichen.

Tierisches Eiweiß war offensichtlich nicht gefragt, ebenso saure Äpfel. Um 10.20 Uhr vernahm ich den Laut jagender Terrier im Osten. Einzelne Schüsse fielen. Nichts zeigte sich. 30 Blässgänse zogen gegen 11.00 Uhr am nördlichen Himmel durch den Sturm und unterhielten sich laut rufend. Ein Sperber flatterte steil in den Himmel, zog einige eilige Kreise und machte einen Abflug. Quitte rollte sich auf meinem nicht benötigten Ansitzsack zusammen und schlief. Um 11.45 Uhr setzte Regen ein. Ich nahm meine Waffe aus der Ecke, um sie vor Nässe zu schützen. Eine regennasse „Braut“ im Herbst, ist nun mal etwas sehr Unangenehmes.

„Werner, die Russen kommen!“

Unsere Vaterlandsverteidiger wurden anscheinend angegriffen. Die Jungs hatten wahrscheinlich ihre Hosen gestrichen voll. Sie ballerten, was das Zeug hielt. Offensichtlich mussten sie nicht einmal nachladen. Um 12.45 Uhr vernahm ich im Westen, sehr leises Hundegeläut. Zwei Stück Rehwild, die nicht anzusprechen sondern nur zu erahnen waren, zogen auf dem bekannten Wechsel von West nach Ost über den Grenzweg. Im Westen knallte es. Plötzlich trollte ein 20 Kg schwerer Frischling einsam auf dem Hauptwechsel über die Westschneise. Ein Schuss war ausgeschlossen. Vor ihm wurde eine Waldschnepfe hoch und flog flink an meinem Sitz vorbei in Richtung Osten. Ein großer brauner Terrier mit gelber Schutzweste folgte nach sicherlich fünf Minuten dem Frischling. Gegen 13.40 Uhr gab es Hundegeläut auf der Fährte der Rehe. Die Treiber kamen aus dem Westen und richteten sich aus.

Dann fielen noch 4 Schüsse in meiner unmittelbaren Nähe. Das war verdammt knapp. Quasi auf dem letzten Drücker hatten meine Stand-nachbarn noch Schussmöglichkeiten genutzt.

Die Schnepfe kam zurück und landete genau an der Stelle ihres Abflugs

Ich entlud meine Waffe und packte meine Sachen. Am Weg standen meine Jagdfreunde und warteten auf die Fahrzeuge. Horst R. kam und hielt sich verdächtig lange bei meinen Mitstreitern, ca. 300 m westlich von mir, auf. Ich ging zu ihnen, da mir das einsame Herumstehen nicht sonderlich gefiel. Dort angekommen erfuhr ich, dass zwei Frischlinge lagen und ein Hirsch beschossen wurde, der noch flüchtig abging. Eine Nachsuche wurde fällig.  Herr Hans Jürgen T., mein Standnachbar, hatte im Bestand auf einer Kanzel gesessen und kurz vor dem Abblasen auf Sau und Hirsch gefunkt. Ihn schüttelte noch jetzt das Jagdfieber. Immer wieder stammelte er:“ Hoffentlich geht das gut, hoffentlich geht das gut!“

Der Frischling lag im Schuss. Wir gingen zum Anschuss des Hirsches und fanden sofort reichlich Schweiß. Die Jagdfreunde, allen voran Freund Heinz T. drängten mich, Quitte anzusetzen, da eine kurze Nachsuche zu erwarten war. Nach 40 m fanden wir mächtig viel Lungenschweiß. Da ich es mir nicht mit der Jagdleitung verderben wollte, brach ich 10 m weiter ab, an einer Stelle, an der Quitte nach Westen zog. Freund Heinz stöberte noch 2 Frischlinge auf. Die hatten sich gedrückt und sausten nun durch die Brombeeren. Wir gingen zum Fahrzeug und forderten ein Nachsuche-Gespann an. Von Herrn S., dem Führer des Gespannes erhielt ich die Genehmigung, die Nachsuche fotografisch begleiten zu dürfen. Mit zwei Bracken näherten wir uns dem Anschuss. Der Hirsch hatte mit Ausschlagen der Hinterläufe gezeichnet. Der Hundeführer tippte daher auf einen Nierenschuss.

Am Anschuss fand er jedoch Lungenschweiß und kündigte eine kurze Nachsuche an

So war es auch. An der Stelle, an der ich Quitte abnahm, bog der Hirsch tatsächlich nach Westen ab. Durch den sperrigen Unterwuchs, suchten die Hunde zügig bis zum Hirsch, ca. 120 m vom Anschuss. Mein Ruf „Hopp, Hopp, Hirsch tot!“, ließ den Schützen mit großen Schritten zu uns stürmen. Seine Freude war gewaltig, hatte er doch im letzten Jahr einen Ia – Hirsch frei und war nicht zu Schuss gekommen. Vor uns lag ein 8-Ender mit einer abgebrochenen Stange. Der Hirsch war sicherlich vom 4. Kopfe und goldrichtig. Horst schrie:„ Lasst den Hirsch liegen und kommt zurück“! Was das wohl wieder sollte?

Schnell spießten wir einige Papiertaschentücher auf die Zweige

der umliegenden Bäume, um den Hirsch leichter vom nächsten Weg aus wiederzufinden. Das wirkte zwar nicht sehr lustig, war aber ungeheuer praktisch. Am Wagen angekommen, kam das Team vom WDR und wollte die Nachsuche aufnehmen. Der Hundeführer erklärte sich zu diesem Verlangen bereit und los ging es. Man glaubt gar nicht, wie schnell ein Jäger mit Waffe, Ausrüstung und Hund sein kann, wenn es brenzlig wird. Und jetzt wurde es brenzlig. Ich stürmte mit großen Schritten zum Hirsch, um den „Baumschmuck“ zu entfernen. Die Zuschauer des WDR hätten sich sonst gewundert, dass wir zu Ehren eines noch nicht gefundenen Hirsches die Bäume im Wald mit Papiertaschentücher verzieren.

Herr Forstdirektor K. bewies enorme schauspielerische Fähigkeiten

Die Freude, nach dem Auffinden des Hirsches, sein Lachen und sein donnerndes Waidmannsheil, schallten durch die Schlägerhardt. Das machte sich später im Film ausgezeichnet. Mit vier Mann zogen wir den Hirsch zum Wagen. Diese große Plackerei wurde vom Filmteam aufgenommen und zeigte, dass Jagen auch Schwerstarbeit sein kann. Anschließend fuhren wir mit munteren Gesprächen und viel Gelächter zum Forsthaus.  Dort wurden alle Stücke zentral aufgebrochen. Die zurückgebliebene Vegetation hatte das Wild geschützt. Daher fiel die Strecke sehr bescheiden aus. Für die zweite Jagd im Dezember war also noch genug Wild übrig geblieben. Jedenfalls hatten die meisten Schützen guten Anblick. Nur war eine Bejagung ausgeschlossen. Der Abend  endete mit einem Schüsseltreiben, bei dem es recht munter und laut zuging. Obwohl ich keine Möglichkeit zur Schussabgabe hatte, war der Tag besonders erlebnisreich.

Ja, ich hatte gejagt

Zu diesem außergewöhnlichen Tag mit ungewöhnlichen Erlebnissen kann man nur sagen: „Gar lustig ist die Jägerei!“

Gerd Tersluisen, Hegering Gladbeck