Wenn Umwelt, Tierschutz und Wirtschaft verlieren

Von Sabine Leopold (agrarheute.de)

Seit Anfang dieses Jahres ist das Töten von Eintagsküken hierzulande verboten. Tierfreunde jubeln und Ex-Agrarministerin Julia Klöckner feiert sich für das neue Gesetz. Aber eigentlich kennt die „Causa Küken“ nur Verlierer. Eine Abrechnung.

Wenn es etwas gibt, worauf Ex-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) so richtig stolz ist, dann ist es das Kükentötungsverbot, das in ihrer Amtszeit durchgeboxt wurde.

Am 1. Januar 2022 twitterte Klöckner: „Ab heute gilt: Kükentöten verboten! Wir sind weltweiter Vorreiter + unterstützen bei der Umstellung unsere Brütereien.“

Nicht nur bei den Brütereibetreibern dürfte dieser Post den Blutdruck in die Höhe gejagt haben.

Von wegen Tierschutz

Denn das, womit sich die ehemalige Ministerin hier brüstet, hat mit Tierschutz nichts zu tun. Und mit der Unterstützung hiesiger Brütereien (oder Landwirte) schon gar nicht. Es ist ein Alibimäntelchen erster Kajüte, das fadenscheiniger nicht sein könnte, und ein himmelschreiendes Beispiel dafür, was passiert, wenn man – jedes fachliche Argument ignorierend – auf (Wähler-)Stimmenfang geht.

Keine sichere Geschlechtsbestimmung im Ei

Das Drama in ein paar Stichpunkten: Seit 1. Januar 2022 dürfen in Deutschland keine Eintagsküken mehr getötet werden. Die Hähne aus Legelinien müssen entweder vorher im Ei identifiziert und der Brutprozess unterbrochen werden. Oder sie werden als sogenannte „Bruderhähne“ aufgezogen. Letzteres ist die im Moment übliche Variante, denn eine sichere und verlustarme Geschlechtserkennung im Ei ist nach wie vor nicht praxisreif – schon gar nicht in Anbetracht der Tatsache, dass die Früherkennung ab 1. Januar 2024 bis spätestens zum sechsten Bruttag erfolgen muss.

Mit dieser Gesetzgebung ist Deutschland tatsächlich weltweiter Vorreiter. Aber statt des Tierschutzes profitieren von der neuen Regelung bestenfalls der Einzelhandel und ausländische Brütereien.

Niemand will die „Bruderhähne“

Warum ist das so? Beginnen wir damit, dass natürlich mit der neuen Praxis mitnichten „Millionen Küken gerettet“ werden, wie Rewe gerade in einer Werbekampagne herumposaunt. Die Tiere werden ein paar Wochen später geschlachtet – dann, wenn sie nicht mehr so niedlich rund und gelb sind.

Bis dahin wurden sie unter Einsatz von Stallplatz, Futter, Wasser und Energie aufgezogen. Zu mageren Legerassengockeln, deren Fleisch keiner will. Oder hat wirklich jemand erwartet, die „Bruderhähne“ als dürre Schlachtkörper am Hähnchengrill wiederzufinden?

Ignoranz im Agrarministerium

Obwohl also völlig klar war, dass diese Tiere keine Abnehmer finden werden, staunt aktuell die halbe Republik: Wie, die „geretteten Brüder“ will keiner essen? Hätte man das nicht vorher wissen können?

Hätte man. Hat man ganz sicher auch, das Agrarministerium verfügt schließlich über Marktanalysten. Aber beim Kükentötungsverbot ging es leider weder um Tierschutz, noch um Nachhaltigkeit und natürlich schon gar nicht um Wirtschaftlichkeit. Es ging um Wählerapplaus. Warum sonst haben Klöckner und ihr Trupp jahrelang fleißig das Narrativ vom lebendig geschredderten und auf den Müll geworfenen Eintagsküken gepflegt?

Küken waren wertvolles Futter

Denn natürlich wusste man auch im Bundesministerium der Kükenretter, dass die Tiere mit Kohlendioxid eingeschläfert und anschließend als wertvolles Ganzkörperfutter an Zoos und Aufzuchtstationen verkauft wurden.

Eine Arbeitsgruppe der Fachhochschule Südwestfalen hatte 2020 untersucht, wie viele Eintagsküken bis dahin in Deutschland pro Jahr verfüttert wurden. In manchen Fällen konnte nur geschätzt werden, weil auch Zoos nicht gern mit der Tötung süßer Eintagsküken in Verbindung gebracht werden. Trotzdem fassten die Wissenschaftler zusammen: „Anhand der vorliegenden Schätzung ist zu vermuten, dass mehr als alle in Deutschland getöteten Eintagsküken als Futter in Zoos, Falknereien und stationären Zoofachhandlungen verwendet werden und möglicherweise noch getötete Eintagsküken aus den Niederlanden und/oder anderen Ländern importiert werden.“

Wohlgemerkt: Das war zwei Jahre vor dem Tötungsverbot.

Rechtzeitig vor den Folgen gewarnt

Fachverbände und Fachpresse hatten im Vorfeld der Entscheidung eindringlich auf die Fehlinformationen hingewiesen. Aber das zu kommunizieren, hätte ja das hübsche Feindbild kaputtgemacht.

Und so staunen dieser Tage immer mehr große Medien, warum die Aufzüchter auf ihren mageren Hähnen sitzenbleiben, und zunehmend auch, dass Greifvogelhalter und Tierparks nicht mehr wissen, wo sie Ersatz für die wertvollen Eintagsküken hernehmen sollen.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) titelte am 20. Februar 2022 beispielsweise: „Wohin mit den Bruderhähnen?“ und kritisierte Kosten und Umweltfolgen der neuen Praxis. Dabei hatte dieselbe FAZ Mitte 2019 noch einen Sturm der Verbraucherentrüstung ausgelöst mit einem Artikel namens „Kein Herz für Küken“ und der Behauptung, die frischgeschlüpften Tiere müssten sterben, weil sie „nutzlos“ sei.

Das Kükentötungsverbot wird bleiben

Was das Kükentötungsverbot angeht, sind aber wohl alle Eulen verflogen. Dieses Gesetz wird keine Regierung – egal, welcher Couleur – wieder einstampfen. Dafür wurde der Wähler zu lange mit Flauscheküken konditioniert.

Außerdem: Es gibt ja zumindest einen Profiteur, sieht man mal vom Aufmöbeln der sonst eher weniger glanzvollen Karrierebilanz der Ex-Agrarministerin in der Öffentlichkeit ab. Der Einzelhandel verkauft seine Frischeier stolz und höherpreisig unter diversen „Bruderhahn“-Logos und wirkt in der ganzen unseligen Geschichte irgendwie, als habe er persönlich die Hahnenküken dem mörderischen Schredder entrissen.

Nur Verlierer auf allen Seiten

Alle anderen aber sind Verlierer:

  • Die deutschen Brütereien, vor allem die kleineren, die mit der Konkurrenz in anderen Ländern preislich nicht mehr mithalten können.
  • Die Legehennenhalter, die eine Bruderhahnaufzucht installieren oder für deren Auslagerung zahlen müssen.
  • Die Zoos und Greifvogelstationen, die ihre Küken nun deutlich teurer in Spanien, den Niederlanden oder irgendwo im Osten kaufen – oder ihr Ganzkörperfutter auf zum Glück nicht ganz so niedliche Ratten und Mäuse umstellen.
  • Die Küken selbst, die hier zwar ein paar Wochen länger leben, aber außerhalb Deutschlands nun in größerer Zahl und nicht selten unter schlechteren Bedingungen erzeugt werden.
  • Und allem voran die Umwelt, denn die Aufzucht der Legelinienhähne dauert lange und erzeugt rund dreimal so viel CO2 wie die von Mastlinientieren. Und letztere werden nicht mal weniger dank der „Bruderhahn“-Konkurrenz, weil saftige Hühnerbrustfilets eben nicht an mageren, auf Eierlegen spezialisierten Umsatztypen wachsen.

Die nächsten Buhmänner

Wie schön wäre es nun, wenn man Klöckners „Causa Küken“, wenn auch zähneknirschend, ad acta legen könnte. Doch auch unter dem neuen Agrarminister werden bereits Entscheidungen getroffen oder vorbereitet, die purer Ideologie folgen statt wissenschaftlichen Fakten.

Sei es Glyphosatverbot oder Gentechnikbann: Cem Özdemirs grüne Parteikollegen haben sich längst festgelegt, wo vor das hiesige Volk und gern auch der Rest der Welt gerettet werden müssen. Und dass da nicht nur Bauern als Verlierer auf dem Feld bleiben, kann doch vorher nun wirklich keiner ahnen …