In Schweden werden Wölfe systematisch gejagt

Foto eines Wolfs

Sabine Leopold, agrarheute (28.01.2022)

Warum werden in Schweden die Wolfsbestände per Abschuss klein gehalten? Und warum geht das in Deutschland angeblich nicht? Wie berechnen sich „gute Erhaltungszustände“ bei Wildtierarten? Das dbv-Wolfsforum hat nach Antworten auf diese und andere Fragen gesucht.

Die rasant wachsenden Wolfsbestände hierzulande treiben längst nicht mehr nur Schaf- und Ziegenhalter um. Im Jahr 2020 gab es in Deutschland fast 4.000 tote Weidetiere infolge von Wolfsangriffen, der Trend ist nach wie vor steil ansteigend. Unter den Rissopfern finden sich immer öfter auch Rinder und Pferde. Und viele Landbewohner machen sich inzwischen Sorgen um ihre Kinder.

Der Deutsche Bauernverband (dbv) hat daher im Rahmen der digitalen Grünen Woche zum wiederholten Mal zum Wolfsforum eingeladen, in diesem Jahr unter dem Titel „Zukunft von Wolf und Weidetierhaltung“ (wenn Sie die Veranstaltung „nachhören“ wollen, klicken Sie auf das youtube-Video unten).

Für die rund 190 Zuhörer der Live-Veranstaltung am 26. Januar gab es dabei einen Mix aus altbekannten Positionen und neuen Perspektiven.Am Ende stellte sich wohl so mancher die Frage, ob vor dem EU-Artenschutzrecht wirklich alle gleich oder Wölfe doch gleicher sind und ob Deutschland auch hier – wie auf vielen anderen Gebieten – eine Vorreiterrolle einzunehmen versucht, die unser Land und unsere Landwirtschaft vor Probleme von unnötigem Ausmaß stellt.

Brandenburg: höhere Wolfsdichte als Alaska

Wussten Sie eigentlich, dass manche Regionen in Deutschland – das Land Brandenburg zum Beispiel – in der weltweiten Wolfsdichte Spitzenpositionen einnehmen? Anders ausgedrückt: In Brandenburg gibt es pro Quadratkilometer mehr Wölfe als in Alaska oder Sibirien. Aber auch auf ganze Staaten bezogen sind wir längst ein echtes „Wolfsland“.

Ein Vergleich der Bestandszahlenentwicklung zwischen Deutschland und Schweden beispielsweise zeigt eine eindrucksvolle Diskrepanz (siehe Grafik). In Schweden zählt man seit mehreren Jahren stabil knapp 400 Wölfe, hier dagegen wird der Bestand auf mindestens gut 1.300 Tiere geschätzt, Tendenz rasch steigend. Woran aber liegt es, dass im waldreichen und einwohnerarmen Schweden auf einer rund 25 Prozent größeren Fläche nur knapp ein Drittel der Wolfsanzahl von Deutschland lebt?

In Schweden werden Wölfe systematisch bejagt

Die Antwort gab Dr. Michael Schneider, Sachverständiger für Raubtierfragen bei der Regierung der Provinz Västerbotten in Nordschweden. Und sie ist bestechend einfach: Schwedische Wölfe werden bis zu einem stabilen Bestand von rund 400 Individuen bejagt.

Diese Anzahl wurde als guter Erhaltungszustand definiert (Voraussetzung: Zuwanderung von Wölfen aus dem Ausland und genetischer Austausch mit Norwegen, wo es weitere rund 85 Tiere gibt).

Schweden unterscheidet dabei nach Regionen. Nach Möglichkeit sollen sich Wolfsrudel weder im stark weidetiergenutzten Süden, noch im äußersten Norden mit seiner Rentierhaltung ansiedeln. Einzelwölfe werden in allen Regionen geduldet.

Da auch in Schweden ein regelmäßiges – wenn auch weit weniger rasantes – Bestandswachstum der Wolfspopulationen zu verzeichnen ist, bedeutet das: Abschussquoten.

Wie reagiert die EU auf die Wolfsabschüsse?

Der Verwunderung bei den Zuhörern des dbv-Wolfsforums war groß: Wie reagiert die Europäische Gemeinschaft (EU) denn auf diese Vorgehensweise?

Immerhin hatte Schneiders Vorredner, der Unterabteilungsleiter Naturschutz beim Bundesumweltministerium (BMUV) und ehemalige Landeschef des Naturschutzbundes (NABU) Nordrhein-Westfalen, Josef Tumbrinck, unmittelbar zuvor erklärt, am generellen Schutzstatus des Wolfs sei ebenso wenig zu rütteln wie an der Feststellung, dass mit 157 Rudeln, 27 Paaren und 19 Einzeltieren (beim üblichen Ansatz von acht Tieren je Rudel geschätzt also etwa 1.330 Individuen) in Deutschland längst kein guter Erhaltungszustand erreicht sei. Muss der geregelte Abschuss auf rund 400 Wölfe in Schweden da nicht die EU auf die Barrikaden bringen?

Nur die Lizenzjagd wird angemahnt

Die Antwort des schwedischen Wildtierexperten sorgte für Erstaunen. Die EU hat mit der sogenannten Schutzjagd von durchschnittlich 13 Wölfen im Jahr (entspricht 4,3 Prozent des Geamtbestandes) keinerlei Probleme. Dabei werden (problemorientiert) punktuell ein bis mehrere Wölfe entnommen.

Angemahnt (aber weiter praktiziert) wird lediglich die großflächiger angelegte Lizenzjagd zur Steuerung der Bestandsgröße von weiteren durchschnittlich 14 Wölfen im Jahr.

Doch selbst, wenn man den zweiten Punkt herausrechnet: 4,3 Prozent … das wären unter deutschen Bedingungen etwa 57 Abschüsse im Jahr! Darunter wären locker alle Wölfe unterzubringen, die sich mehrfach an Weidetieren vergreifen oder Menschen nähern. Ohne monatelanges und oft fruchtloses Entnahmeantragsverfahren.

Deutschland: Maximales Bestandswachstum bei Wölfen

Aber trotz einer angestrebten Erleichterung der Entnahme durch den Praxisleitfaden Wolf ist an solche Zahlen hierzulande nicht zu denken. Selbst bei hochauffälligen Tieren ist eine Abschussgenehmigung noch immer ein Behördenmarathon, an dessen Ende öfter der Tod eines Landwirtschaftsbetriebs steht als der eines Wolfs.

Dabei bestünde bei einem jährlichen Bestandswachstum von 20 bis 25 Prozent durch eine solche Abschussanzahl keinerlei Gefahr für die Wolfspopulation – wenn die Verantwortlichen in Deutschland nicht unter der Prämisse agieren würden, wir hätten noch immer viel zu wenige Wölfe und müssten daher mit allen Mitteln ein möglichst schnelles Populationswachstum unterstützen.

Tumbrinck: Große Teile Deutschlands sind „Wolfserwartungsland“

Dass es im Berliner Umweltministerium keinerlei Betrebungen gibt, daran etwas zu ändern, machte Josef Tumbrinck klar. Es gebe, anders als zahlreiche Landwirtschaftsvertreter behaupteten, in Deutschland keinen guten Erhaltungszustand der Wolfspopulation, solange Großteile der Bundesrepublik noch komplett wolfsfrei – wie Tumbrinck es ausdrückte: „Wolfserwartungsland“ – seien.

Anders ausgedrückt, solange es in Bayern und Baden-Württemberg keinen stabilen Wolfsbestand gibt, können Brandenburg, Sachsen und Niedersachsen sehen, wo sie mit ihren Wolfsproblemen bleiben.

Die Lösung: Herdenschutz soll es regeln

Und welche Lösungen bieten die deutschen Behörden den geplagten Weidetierhaltern in Wolfsregionen an? Wer hier beim Wolfsforum auf Neues aus dem BMUV gehofft hatte, sah sich enttäuscht.

Nach wie vor beharren die zuständigen Stellen darauf, dass die Landwirte zunächst alle vorgegebenen Herdenschutzmaßnahmen umzusetzen haben, bevor ein Wolf, der diese mehrfach überwindet, möglicherweise entnommen werden kann.

Daran rüttelten auch die Wortmeldungen der beiden praktischen Landwirte in der abschließenden Podiumsdiskussion – Sabine Firnhaber, Vizebauernpräsidentin des Landesbauernverbands Mecklenburg-Vorpommern, und Jörn Ehlers, Vizepräsident vom Landvolk Niedersachsen – in keinster Weise.

Schutzmaßnahmen des BMUV

Beide verwiesen in ihren Statements eindringlich darauf, dass die geforderten Herdenschutzmaßnahmen in vielen Fällen nicht umzusetzen seien.

Weder könnten Wanderschäfer jeden Abend wolfssichere Zäune setzen, noch sei in siedlungsnahen oder touristisch genutzten Regionen die Haltung von Herdenschutzhunden uneingeschränkt möglich. Dazu komme, dass zwar die kosten für den Herdenschutz übernommen werden, viele kleine Betriebe das Ganze aber arbeitsseitig einfach nicht stemmen könnten.

Wolfssichere Zäune nur im Zoo

Zudem hatte Eberhard Hartelt, Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd und Umweltbeauftragter des Deutschen Bauernverbandes, bereits zu Beginn der Veranstaltung klar gemacht: Wirklich wolfssichere Zäune gibt es nur im Zoo! Die sind nicht ohne Grund zwei Meter hoch und haben sowohl einen Untergrabungsschutz als auch einen Sprungabweiser.

Die bislang überwiegend als „wolfssicher“ geltenden 90-cm-Zäune sehen dagegen wie Spielzeug aus und werden von Wölfen immer öfter überwunden. Sabine Firnhaber sprach von einem Wettrüsten zwischen Weidetierhaltern und Wölfen, das die Wölfe immer öfter gewännen.

Das Mantra vom schlechten Erhaltungszustand

Im BMUV und bei Naturschutz-NGOs bleibt jedoch das Mantra vom „Herdenschutz als geeignetste Maßnahme“ bestehen.

Präventivabschüsse, so hatte es Josef Tumbrinck mit Verweis auf die EU-Gesetzgebung noch einmal betont, dürfe und werde es nicht geben. Man habe über dieses Thema bereits mehrfach diskutiert. In Deutschland sei ein guter Erhaltungszustand der Wolfspopulation per Definition noch längst nicht erreicht, daran werde sich in nächster Zeit auch nichts ändern.

Keine territoriale Beurteilung geplant

Eine territoriale Beurteilung wie in Schweden und wie sie der Geschäftsführer des Forums Natur Brandenburg, Gregor Beyer, in einem Modell am Beispiel seines Bundeslandes präsentiert hatte (wir werden darauf in einem weiteren Beitrag noch genauer eingehen) lehnte Tumbrinck rigoros ab. Diese Information gab es noch während der Veranstaltung auch schriftlich via Twitter (siehe unten).

Tumbrinck schrieb: „In Deutschland ist der gute Erhaltungszustand noch nicht erreicht. Brandenburg allein wird dabei definitionsgemäß nicht solitär betrachtet.“ Oder anders: Der weitere Aufbau der ohnehin am schnellsten wachsenden Wildtierpopulation in Deutschland hat auch in Gebieten mit extrem dichtem Wolfsbesatz weiterhin uneingeschränkte Priorität vor dem Erhalt der Weidetierhaltung.

Der Schwarze Peter bleibt bei den Landwirten

Bitteres Fazit der Veranstaltung: Die Probleme zwischen Wolf und Weidetierhaltung sind bekannt. Doch während in anderen betroffenen Ländern wie zum Beispiel Schweden an Lösungen gearbeitet wird, die beiden Seiten gerecht werden, hält Deutschland an seiner selbstgewählten Einspurigkeit fest und schiebt den Schwarzen Peter weiter den Landwirten zu.